Was ist eigentlich eine… Innovationskultur ?

von | Organisationsentwicklung

Dr. Ralf Pulz, www.mehr-innovationserfolg.de hat für uns einen Gastbeitrag zum Thema „Innovationskultur“ verfasst. Viel Spaß beim Lesen!

 

Innovationsfähigkeit gehört zu den wichtigsten Stärken erfolgreicher Unternehmen: Sie schaffen es, sich selbst laufend weiterzuentwickeln und immer wieder neue, innovative Produkte und Dienstleistungen zu erschaffen, zu vermarkten und damit ihre Wettbewerbsposition zu festigen – und das oft über sehr lange Zeiträume. Oft wirken diese Unternehmen mit all ihrer Kreativität und Dynamik als Vorbild – weit jenseits ihrer eigenen Branche.

Ein einziger oder wenige Geistesblitze, etwa eines genialen Firmenchefs, oder der Einsatz bestimmter Innovationstools und -methoden, reichen dafür nicht aus. Gefordert sind vielmehr eine langfristige, kontinuierlich hohe Innovationsfähigkeit und damit eine ganz besondere, innovationsfördernde Unternehmenskultur – eine sog. Innovationskultur. Diese richtet das gesamte Unternehmen so aus, dass Innovation dauerhaft unterstützt und Innovationserfolge laufend erzielt werden.

 

Die zentrale Herausforderung einer Innovationskultur

Zur Unternehmenskultur gehören alle verinnerlichten Annahmen, Haltungen, Werte und Auffassungen sowie die Denk- und Verhaltensweisen einer Organisation – oft über viele Jahre und Jahrzehnte gewachsen und im Laufe der Zeit sorgsam an die Unternehmensentwicklung angepasst. Viele Unternehmen durchlaufen dabei einen Wandel von einer anfangs eher kreativitätsbetonten Unternehmenskultur zu einer später eher effizienzorientierten Unternehmenskultur in Reaktion auf das Unternehmenswachstum und die damit verbundene Zunahme der Komplexität.

Die besondere Kunst besteht dann darin, den Widerspruch zwischen Innovation und Kontrolle zu managen – also etwa zwischen individuellen Freiräumen, Flexibilität, kreativem Chaos, Eigenverantwortung, Teamgeist und Risikobereitschaft einerseits sowie klaren Strukturen, Prozessen, Disziplin, Entscheidungswegen, Kostenreduktion und Risikovermeidung andererseits. Schlussendlich sollte eine wirksame Innovationskultur also ein möglichst effizientes Tagesgeschäft mit Freiräumen und einem kreativen Umfeld vereinen. Somit gilt das Motto: sowohl – als auch, und nicht: entweder – oder.       

 

Der Aufbau einer Innovationskultur

Am Beginn steht eine zentrale Erkenntnis: Es gibt kein Patentrezept! Innovationskulturen sind nie Universallösungen, sondern immer individuell auf das jeweilige Unternehmen zugeschnitten.  

Der Weg führt dabei von einer Aufnahme des Ist-Zustandes der Unternehmenskultur über die Zieldefinition hin zu passgenauen Maßnahmen und Veränderungen in Hinblick auf die gewünschte Innovationskultur. Je nach Ausgangslage ist die Organisation dafür unter Umständen umfassend und längerfristig weiterzuentwickeln (Change Management).

Unternehmenskulturen können anhand der Faktoren des sog. Kulturnetzes nach Gerry Johnson beschrieben und analysiert werden. Diese sind:

  • Organisationsstruktur
  • Machtstruktur
  • Symbole und Kommunikation
  • Geschichten und Mythen
  • Routinen und Rituale (informelle Abläufe)
  • Kontrollsysteme (formale Prozesse, Messsysteme, Anreize und Anerkennungssysteme)
  • sowie das „zentrale Paradigma“, welches zusammenfasst, wie das Unternehmen insgesamt denkt und handelt.

Einen weiteren Ansatz bietet das vorherrschende  Wertesystem der Mitarbeitenden, der Projektteams und der Organisation. Ein Modell hierfür ist das sog. Graves-Value-System (GVS) nach Clare W. Graves. Es unterscheidet verschiedene Bedürfnisstufen, welche in der Persönlichkeitsentwicklung nacheinander durchlaufen werden und entweder eher individuumsorientiert oder gruppenorientiert sind. In absteigender Folge ergeben sich:

  • Orientierung an Gemeinwohl und Werten
  • Orientierung an Selbstverwirklichung
  • Teamorientierung
  • Leistungs- und Gewinnorientierung
  • Struktur- und Prozessorientierung
  • Macht- und Erfolgsorientierung
  • Sicherheitsorientierung

Je nach Unternehmenskultur und vorherrschenden Bedürfnisstufen in der Organisation werden sich unterschiedliche Vorgehensweisen beim Aufbau einer Innovationskultur ergeben:   

Maßnahmen, welche zu spielerischer Kreativität anregen, werden in einem eher struktur- und prozessorientierten Wertesystem wahrscheinlich nicht spontan angenommen und müssen besonders vorbereitet und eingeführt werden. Ebenso können in einer ausgeprägten Machtstruktur individuelle Freiräume und die Delegation von Verantwortung nur schrittweise eingeführt werden, um die Organisation nicht zu überfordern. 

 

Das Wesen einer Innovationskultur

Bei aller Individualität zeichnen sich erfolgreiche Innovationskulturen durch einige allgemeine Merkmale aus:

  • Es gibt eine klare Innovationsstrategie und ein Leitbild, in welchem Innovation als zentrales Merkmal des gesamten Unternehmens verankert ist.
  • Vorherrschend sind flache Hierarchien, gegründet auf Leistung und nicht auf Titel oder Positionen als Akzeptanzkriterium.
  • Die Führungskräfte unterstützen Innovation, gewähren Freiräume für selbstbestimmtes Handeln, fördern Ideen, Teamarbeit und Selbstorganisation und delegieren Verantwortung. Die Mitarbeiterzufriedenheit ist in der Regel hoch.
  • Der Führungsstil zeichnet sich durch offene und direkte Kommunikation, klares Feedback, Vertrauen, Anerkennung von Leistung und Motivation durch den gemeinsamen Erfolg aus. Im Vordergrund steht dabei der Erfolg an sich, nicht so sehr die Geschwindigkeit, mit welcher der Erfolg erzielt wurde.  
  • Fehler werden als normal angesehen, die Fehlertoleranz ist hoch, es gibt eine ausgeprägte Fehlerkultur. Statt nach Schuldigen zu suchen, werden Fehler akzeptiert – so lange man daraus lernen kann und die Fehler nicht einfach auf qualitativ schlechter Arbeit beruhen. Die positive Fehlerkultur ist insofern an eine systematische Lernkultur gekoppelt.
  • Das konsequente Lernen aus Fehlern führt zu permanenten Veränderungen von Strukturen und Abläufen. Veränderungen werden daher grundsätzlich als normal und nicht als Bedrohung angesehen.

Andererseits lassen sich unschwer Faktoren ableiten, welche Innovation mit großer Wahrscheinlichkeit erschweren oder gar ganz verhindern. Dazu gehören unter anderem:

  • Kontrolle und Misstrauen
  • Mangel an Anerkennung von Erfolgen
  • Unsicherheit und Angst, etwa bedingt durch die wirtschaftliche Lage, und die Blockade von Kreativität und Risikobereitschaft
  • Innovationshemmende Einstellungen und Verhaltensweisen, etwa die Ablehnung anderer Ideen (bekannt als Not-Invented-Here-Syndrom) und Aussagen wie „Das haben wir noch nie so gemacht“ oder „Das funktioniert sowieso nicht“
  • Der Fehler, Innovation nicht im gesamten Unternehmen zu verankern, so dass unterschiedliche Einstellungen kollidieren und Konflikte hervorrufen können, etwa zwischen einzelnen Personen und Abteilungen
  • Jegliche Maßnahmen, welche gegen die Wertesysteme der beteiligten Personen, Teams oder der Organisation verstoßen.

Vor diesem Hintergrund wird klar, dass die Implementierung einer wirksamen Innovationskultur erhebliche Anforderungen an die Unternehmensführung stellt, sowohl auf Ebene der Organisation, als auch auf Projektteam- und Mitarbeiterebene.

 

Die praktische Umsetzung einer Innovationskultur

Organisationsebene

Vor allem sollte die richtige Atmosphäre für Innovation geschaffen und die Chancen auf innovative Spitzenleistungen erhöht werden. Dies kann schon mit kleinen Maßnahmen, etwa der Ausgestaltung des Empfangsbereiches mit innovativen Produkten oder dem Schaffen von Innovationsräumen, etwa mit Besprechungsecken am Kaffeeautomaten, beginnen. Größere Unternehmen gliedern insbesondere für radikale Innovationen komplette Projektteams organisatorisch und räumlich aus dem Unternehmen aus (sog. Skunk Works).

Ferner sollte der Unternehmergeist gezielt gefördert werden, indem echte Eigenverantwortung auf die Mitarbeitenden übertragen und entsprechende Freiräume für Innovation geschaffen werden. Bekannt ist etwa die 10-15%-Regel des Unternehmens 3M, nach welcher 10-15% der jeweiligen Arbeitszeit für eigene Innovationsideen aufgewendet werden dürfen. Risikobereitschaft sollte entsprechend belohnt und anerkannt werden.

Neue Ideen sollten systematisch gefördert, zügig bewertet und ausgewählt und ihre Umsetzung mit entsprechenden Ressourcen vorangetrieben werden. Dabei sollte das Management deutlich machen, dass Ideenfindung nicht die Aufgabe einzelner Personen oder Abteilungen, sondern die des gesamten Unternehmens ist – und zwar in einem permanenten Prozess. Entsprechende Abläufe und Tools, etwa eine Intranet-basierte Plattform für neue Ideen und Verbesserungen, sollten bereitgestellt werden.   

Last not least: Zu einer guten Innovationskultur gehört auch immer das kritische Hinterfragen von Bestehendem, von Entscheidungen und Schlussfolgerungen. Auch diese – oft als störend empfundenen – Verhaltensweisen sollten nicht nur nicht unterdrückt, sondern ganz im Gegenteil von allen Mitarbeitenden gefordert und gefördert werden.

Projektteamebene

Zentrale Herausforderungen liegen in der Festlegung der optimalen Teamstruktur und in der Zusammenstellung des Projektteams, also in der Auswahl der Teammitglieder und des Projektmanagers.

Bei der Teamstruktur ist zwischen mehreren Alternativen abzuwägen. Unter diesen haben sich abteilungsübergreifende Teams als besonders erfolgreich herausgestellt.  Die Projektteams sollten möglichst heterogen zusammengestellt werden, um etwa eine größere Kenntnis- und Erfahrungsbreite abzudecken.

Die Aus- und Weiterbildung hochqualifizierter Projektmanager gehört zu den weiteren Schlüsselaufgaben. Gesucht ist der unternehmerische, kommunikative, führungsstarke, fachlich kompetente Typ, welcher im Idealfall nicht nur sein Projektteam erfolgreich führen, sondern auch noch die Schnittstellen zu anderen Bereichen managen kann. Bei der Rekrutierung neuen Personals ist auf die entsprechenden Potenziale besonders zu achten.

Mitarbeiterebene

Motivierung, Belohnung und Anerkennung sind hier die wichtigsten Erfolgstreiber. Entsprechend sollten Zielvorgaben auch Innovationsziele enthalten und mit Anreizsystemen, etwa dem Vergütungssystem oder Auszeichnungen, gekoppelt werden. So könnten sowohl die Anzahl als auch die Qualität neuer Ideen belohnt werden. Besonders erfolgreiche Mitarbeitende könnten auch extra Ressourcen für die Umsetzung eigener Ideen oder strategische Incentives, etwa Unternehmensbeteiligungen, erhalten. 

Strategische Hauptaufgabe bleibt es, die passenden Mitarbeitenden zu finden, zu rekrutieren und ans Unternehmen zu binden. Hier ist strategisches Personalmanagement gefragt: Wer sind die Innovationstreiber von morgen? Kriterien wie Kreativität, Offenheit und Teamfähigkeit gehören ebenso zu den relevanten Auswahlkriterien wie Risikobereitschaft und die Fähigkeit zu kritischem Querdenken. Neben Fachkompetenz und Fachwissen gewinnen daher eher weiche Faktoren wie Talente, Neigungen und Temperament in innovativen Unternehmen zunehmend an Bedeutung.

 

Fazit

Jede Organisation benötigt eine wirksame Innovationskultur, um dauerhaft innovationsfähig zu werden und zu bleiben.  Ihre Umsetzung ist eine komplexe strategische Führungsaufgabe. Es ist nicht damit getan, einige Dinge punktuell zu ändern, etwa moderne Tools und Methoden zur Ideenfindung oder -auswahl einzuführen. Innovationskultur ist vielmehr eine komplexe Fähigkeit, welche nur ganzheitlich und über einen längeren Zeitraum erworben werden kann und die gesamte Organisation auf allen Ebenen umfasst.  

 

Silvia Schorta
Mit ihrem breiten Erfahrungshintergrund unterstützt sie Unternehmen in der digitalen Transformation und der Wissensarbeit, coacht Wissenstransfers und begleitet Kulturveränderungen. Sie liebt die Berge und das Meer.
Wissen verlässt das Unternehmen

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