Wissenstransfer und Coaching im Onboarding

von | Wissensmanagement

Zu den kostspieligsten und aufwändigsten Investitionen von Unternehmen gehört das Rekrutieren neuer Mitarbeiter im (Top-)Management. Unternehmen sind immer mehr  sensibilisiert für die kostenintensive Integrationsphase bei Neuzugängen. In der Folge werden Onboarding-Prozesse in diesen oberen Leitungsebenen immer häufiger genutzt. Misserfolge in Integration, und daraus resultierend vorzeitige Abgänge angeworbener Spitzenleute, potenzieren die Kosten. Die Anbieterseite hat darauf reagiert: Eine wahre Flut von Beratern und Coaches bieten ihre Dienstleistungen dazu  an und in der Tat können Coaches von großem Nutzen für Unternehmen und Neuzugang sein. Denn Wissenstransfer und Coaching tragen wesentlich zum Gelingen beim Onboarding bei.

In diesem Beitrag wird die Beziehung Coach/Kunde betrachtet. Selbstverständlich beinhaltet ein Onboarding-Prozess  mit Wissenstransfer und Coaching immer auch die aktive Unterstützung durch Vorgesetzte, Kollegen, Personalverantwortliche mittels Gespräche, Feedback, Einarbeitungspläne.

Die Integration externer Manager lässt sich idealtypisch in drei Phasen gliedern: die Orientierungsphase, die Präzisierungsphase und die Konsolidierungsphase.

Onboarding Orientierungsphase

Diese Eingangssituation sollte kurz und intensiv gehalten werden. Von Spitzenmanagern wird erwartet, dass sie sich schnell im sozialen und machtpolitischen Milieu des neuen Arbeitgebers zurechtfinden. Hier unterstützt der Coach mit der Wissenstransfer-Methodik: erfolgskritische Kontaktpersonen im Unternehmen werden identifiziert und das Handlungs- und Erfahrungswissen des Vorgängers in einer Wissenslandkarte festgehalten. So bekommt der Neuzugang eine Momentaufnahme des Unternehmens. Er sieht die wichtigsten Zusammenhänge, die wesentlichen Stakeholder und bekommt einen „Schaltplan“.

Onboarding Präzisierungsphase

In den nachfolgenden Gesprächen, beim Wissensaufbau anhand der Landkarte kann er seine Prioritäten in der Einarbeitungsphase setzen und die für ihn wichtigsten Fragen angehen und in einem Journal festhalten:

Wer erwartet was von mir:

  • Was erwartet mein Vorstand in Bezug auf die Mitarbeiter von mir?
    – Motivierung und Begeisterung für den Transformationsprozess erzeugen…
  • Was erwartet die Mitarbeiterschaft in Bezug auf den Vorstand von mir?
    – Schutz vor Überforderung, zusätzliche Ressourcen …
  • Was erwarten meine Direktberichtenden in Bezug auf meinen Vorstand von mir?
    – Kooperation, Kollegialität, Verschworenheit im Team …

Schnell werden so nicht nur Widersprüchlichkeiten in den Erwartungen deutlich; dem Coach und seinem Kunden gibt ein Wissenstransfer auch die Möglichkeit, erste Rollendefinitionen vorzunehmen.

Weitere Aspekte, die im Coaching besprochen werden müssen, sind etwa die Frage nach dem Vorgänger in der Position: Welches Image hatte er? Bedauern viele seinen Weggang oder herrscht eher Erleichterung vor? Beide Varianten bedeuten für den Nachfolger die Auseinandersetzung mit spezifischen Erwartungen – in welcher Art er auf sie reagieren will, ist ein erfolgskritisches Thema im Coaching.

Mit Achtsamkeit und Respekt für die vorgefundene Unternehmenskultur, aber trotzdem entschieden und geradlinig muss der Neuzugang in dieser Phase deutlich werden lassen, für was er steht. Diese Abgrenzungsnotwendigkeit wird häufig nicht angemessen erkannt. Denn gerade Manager der oberen Ebenen werden von außen geholt, weil sie neue Elemente ins Unternehmen bringen sollen. Es geht nicht so sehr um Mehr von dem Gleichen und weniger um die Fachlichkeit. Ganz im Gegensatz zu Mitarbeitern anderer Ebenen, bei denen das Hauptinteresse des Unternehmens an einem Zuwachs von fachlicher Expertise liegt: Dort ist das Interesse des Unternehmens eher auf eine schnelle und unhinterfragte Anpassungsleistung des Neuen gerichtet. In dieser Phase ist die Unterstützung durch einen Coach von erheblichem Nutzen. Die zuvor erarbeitete Wissenslandkarte wird geprüft auf Chancen der Veränderung und der Adaptation. Einfügen, Abgrenzen und Verändern sind die Aufgaben, die sich dem Neuling stellen. Obgleich gerade dies – das Anderssein – im Sinne der Rekrutierung von Extern ist, wird der Kunde mit dem erheblichen Beharrungsvermögen des Umfeldes konfrontiert: „Erste Wunden sind zu lecken“, dies kann aber nicht (vordringlicher) Inhalt des Coachings sein, sondern die Frage, welches Wunsch- bzw. Soll-Image sich der Kunde im Unternehmen verschaffen will. Wie und mit welcher Prägnanz der Klient von seinem Umfeld wahrgenommen wird, hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die zukünftige Durchsetzung seiner inhaltlichen Belange. Der Coach bietet Unterstützung bei diesem jetzt notwendigen Eigenmarketing.

Das Hinzukommen eines Fremden hat das bestehende, möglicherweise fragile Beziehungsgeflecht verunsichert. Befürchtet wird unter Umständen, dass erarbeitete Machtpositionen in Frage gestellt werden durch einen durchsetzungsbereiten Neuzugang. Andere wiederum erhoffen sich Stärkung ihrer Positionen. Zusammen mit dem Coach identifiziert der Kunde  potenzielle Verlierer und Profiteure dieser Dynamik.

Onboarding Konsolidierungsphase

Dem Kunden sollte es mit Unterstützung seines Coachs nun gelungen sein, eine unverwechselbare „Marke“ seiner selbst etabliert zu haben. Die wesentlichen Personen und Interessengruppen seines Umfeldes wissen, was sie von ihm zu erwarten haben. Der Klient hat Standing bewiesen in den unterschiedlichen Konflikten der vorangegangenen Wissenstransfer- und Onboardingphase. Er identifiziert sich zunehmend mit dem neuen Arbeitgeber: Er ist jetzt „im Spiel“ und kennt die meisten Spielregeln. Wie zügig der Unternehmensneuling diese Phase erreicht, ist von seiner Persönlichkeit und seiner beruflichen Historie abhängig – aber nicht nur. Die Akteure unterschiedlicher Geschäftsbereiche in Unternehmen haben unterschiedliche Chancen, auf sich aufmerksam zu machen, gesehen zu werden und im Gespräch zu sein. Deshalb ist hier in der Regel noch immer Kommunikation und Vernetzung im Unternehmen ein akutes Thema im Coaching. Über Erfolg und Misserfolg von Top-Managern entscheidet oft genug der Aufbau und die Pflege stabiler Beziehungsnetze: Wen wünsche ich bzw. brauche ich als Koalitionspartner? Wer kann mir nützen, aber auch: wem kann ich nützlich sein mit Informationen und mit Einbezug in Entscheidungsprozesse?

In der Arbeit mit dem Coach, mit Materialien wie Wissenstransfer-Landkarten, Organigrammen, Diagrammen zu Wertschöpfungsströmen und Soziogrammen, mit denen der Kunde sein subjektives Erleben der Interaktionen abbildet, können Positionen und Personen identifiziert werden, die erfolgskritisch sind. Erfolgskritisch sind sie möglicherweise aufgrund struktureller Gegebenheiten oder aber aufgrund ihrer Bedeutsamkeit im Unternehmen (z.B. „graue Eminenzen“).

Der Coach und sein Kunde befassen sich weiterhin mit dem Thema, wie Rituale zu schaffen sind, die dem Umfeld weiterhin Beständigkeit, Glaubwürdigkeit, Führungsstärke, aber auch menschliche Zugänglichkeit signalisieren. Rituale im Unternehmen stellen standardisierte Kommunikations-und Interaktionsplattformen dar, die für alle Teilnehmenden hohe Attraktivität besitzen müssen, sollen sie nicht zu ermüdender Zusatzbelastung verkommen. Die Aufgabe des Coachs ist es hier, mit dem Kunden Leerstellen in der Unternehmenskultur zu finden, die sinnvollen Ritualen Platz bieten: regelmäßige Informationsrunden, Erfolge feiern, informelle Kamingespräche…

Am Ende eines Onboarding-Wissenstransfer und Coachings steht ein Evaluierungsgespräch – je nach Unternehmenskultur zuzüglich des Vorgesetzten oder der Personalverantwortlichen. Dass über die konkreten Inhalte des Coachings hier nicht gesprochen wird, außer der Kunde wünscht dies, ist mehr als selbstverständlich.

Fragen zum Onboarding

Muss der Coach Unternehmenskenntnis, bzw. Kenntnisse der Geschäftsbereiche besitzen? Nicht unbedingt, Branchenkenntnisse sind von Nutzen, sie erhöhen in jedem Fall die Akzeptanz durch den Klienten. Allerdings muss der Coach zwingend Feldkenntnis für die Leitungsebene des Klienten mitbringen. Die Sichtbarkeit der beschriebenen Manager erlaubt kaum Fehler. Unbedachte Äußerungen etwa haben viel weitreichendere Konsequenzen als in anderen Mitarbeiterebenen. Der Coach muss die Freiräume, aber auch Fallstricke und Fettnäpfchen der Hierarchie-Ebene des Klienten kennen.

Was ist dran, an den sprichwörtlichen 100 Tagen?

Nicht (mehr) viel! Top-Leitungskräfte müssen sofort ihre Wirksamkeit unter Beweis stellen, in den nachgeordneten Ebenen kann der Neuling in den ersten Monaten häufig auf Schonung hoffen.

Warum muss es jetzt Onboarding sein, früher hat die Integration von Quereinsteigern doch auch funktioniert? Für Unternehmen haben Onboarding-Prozesse in der heutigen Zeit unbestreitbaren Nutzen, denn sie verkürzen die Zeit der Einarbeitung und erhöhen den Erfolg des Einstiegs ganz erheblich. Zum einen macht es die vielbeklagte Geschwindigkeit aller Geschäftsprozesse notwendig, Leistungspotenziale schnell zur Verfügung zu haben. Zum anderen sind die Verweildauern von Managern in ihren Positionen in vielen Branchen deutlich verkürzt: Manager werden bei Bedarf zur Krisenintervention schnell versetzt und starten in ihrem beruflichen Leben viele Male neu durch.

„Unternehmensnomaden“, Manager also mit wechselnden, auch internationalen Einsatzorten, die in einem früheren, ersten Onboarding-Coaching grundlegende Strategien und Vorgehensweisen zur Einarbeitung kennen gelernt haben, sind bei ihren Einsätzen mit solidem Rüstzeug ausgestattet, sie haben „Integrationskompetenz“ erworben.

Ist ein Mentor in diesem Fall nicht wesentlich nutzbringender als ein Coach?

Unter einem Mentor versteht man eine hierarchisch gleich ggf. auch noch höher gestellte, in jedem Fall aber „altgediente“ Führungskraft aus einem anderen Unternehmensbereich. Wichtig ist, dass es keine (potenziellen) Abhängigkeiten von Mentor und Mentee gibt. Der Mentor gibt Hinweise, wie etwa bestimmte Situationen im Unternehmen zu deuten sind, verweist an Ansprechpartner, gibt Anregungen und kann nicht zuletzt durch seine Kenntnis der Unternehmensgeschichte für den Neuling vieles erklärbar und verstehbar machen. Er unterstützt damit maßgeblich die Identifikation mit dem Unternehmen. Er ist wohlwollende Partei. Dagegen leistet der Coach professionelle Unterstützung: professionell in der Fragestellung, professionell in den Deutungs- und Erklärungsansätzen und professionell in seiner wohlwollenden Neutralität! Abgrenzungsleistung und Annäherung können nur so angemessen begleitet werden.

Silvia Schorta
Mit ihrem breiten Erfahrungshintergrund unterstützt sie Unternehmen in der digitalen Transformation und der Wissensarbeit, coacht Wissenstransfers und begleitet Kulturveränderungen. Sie liebt die Berge und das Meer.
Wissen verlässt das Unternehmen

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